Die Verwunderung war bei vielen Bekannten gross: Was? Ihr fahrt in den Norden? Dort wo es immer regnet, dort wo unendliche Wälder die Landschaft säumen anstatt wohlriechende Lavendelfelder, dort wo Klösse und Schäufele auf dem Teller liegen anstatt Baguette und Brie und wo es nur Bier gibt und keinen Wein? Dort wo die Felsen kaum höher sind als einige Boulderblöcke und der erste Haken zudem auf halsbrecherischer Höhe liegt?
Die Vorstellungen vom Frankenjura (alias Fränkische Schweiz, alias „die Franken“), dem wohl grössten und geschichtsträchtigsten Klettergebiet der Welt reichen oft nicht über die düsteren Bilder von Maitre Güllich an einem Finger hängend hinaus; man liebe es oder man hasse es, hiess es oft. So viel vorweg: wir lieben es. Wo sonst gibt es 10’000 Routen, verteilt auf 1000 Felsen, wobei der Zustieg jeweils nur wenige Minuten dauert? Wo die Kneippe mit bodenständigem Essen für wenig Franken gleich unter dem Fels steht und das Bier zudem gleich in der Kneippe gebraut wird? Ganz zu schweigen von der Klettergeschichte, welche die Felsen zu erzählen haben: Hier hat Kurt Albert das Rotpunktklettern quasi erfunden und Wolfgang Güllich die Pforten zum neunten Französischen Grad geöffnet. Und vor allem: Wo sonst kann man am Abend erzählen, man habe heute viele Neuner gemacht?
Zugegeben: die Routen sind im Durchschnitt 15m lang und werden bei dieser Länge auch schon mal als Ausdauerrouten bezeichnet. Wer jedoch denkt, in den Franken gäbe es nur ringbandzerstörerische Einfingerlochsteller, der täuscht sich. Unsere „local guides“, die bärenstarken Crissi und Jan aus Bayreuth, haben uns die Vielfalt der Kletterei vor Augen geführt und uns zu den lohnendsten Felsen im nördlichen und mittleren Frankenjura geführt. Obwohl eine Auswahl deren für 2 Wochen Aufenthalt nur schwierig zu bewerkstelligen war. Deshalb ein Tipp für alle Neueinsteiger im Lochrupf-Business: Einfach den Sternerouten aus dem Schwertner-Führer folgen, um keine Böse Überraschungen zu erleben. Weil die Sternerouten jeweils auf verschiedene Felsriegel in den Tälern verteilt sind, kommt man sich an einem Klettertag nicht selten wie ein Zeuge-Jehovas unter Zeitdruck vor: von Haus zu Haus fahren, Geschäft erledigen, weiterfahren.
Die unzähligen Täler und Forste liegen im Dreieck von Bamberg, Bayreuth und Nürnberg. Sie sind durchzogen von Dörfern mit märchenhaften Riegelhäusern und Burgen und umgeben von dunklen Forsten. Hänsel und Gretel müssen hier von der Hexe in einer der Brauereien zu Weissbier verarbeitet worden sein… Folgende Täler mussten sich schliesslich unserer Sightseeing-Tour ergeben: das Püttlacher Tal (u.a. Bärenschlucht), das Ailsbachtal, das Wiesenttal, das Kleinziegenfeldertal und das Pegnitztal. Eine Lehrstunde in Klettergeschichte gab es im Trubachtal („Fight Gravity“) und im Krottenseer Forst. Unsere persönlichen Highlights was Routen betrifft hier aufzulisten, wäre angesichts der Massen noch ungekletterter Sternerouten eine lächerliche Anmassung und ein Affront gegenüber den Urvätern des modernen Sportkletterns, deshalb wird darauf willentlich verzichtet. Wir wollen schliesslich nicht den Zorn Güllichs auf uns ziehen.
Das Wetter hat uns in der ersten Woche einen wunderbaren Herbst mit super Bedingungen beschert, in der zweiten Woche hing oft der Nebel und zum Schluss auch die Regenwolken in den Tälern, was das Klettern nicht gerade verunmöglichte, aber zumindest etwas betrübte. Unser erster Eindruck des Frankenlandes war trotz dem unrühmlichen Abgang unter der Pellerine durchwegs positiv: Klösse, wir kommen wieder!!